The Uber-Flieger

Vorweg ein Versprechen: Was nun folgt, ist auf dieser Website der erste und gleichzeitig auch garantiert letzte Artikel über eine Uhr, die nicht fürs Wasser, sondern für die Luft gebaut wurde. Und auch wenn sich bekanntlich zahlreiche Leser schon seit Jahren eine thematische Verlagerung zu den nicht minder populären Fliegeruhren wünschen, so ist die Grosse Fliegeruhr von IWC garantiert the one and only Nichtschwimmer-Uhr, die es hierher unter die verbale Wasseroberfläche geschafft hat. Warum dem so ist, liegt auf der Hand: Die „Big Pilot“ ist eine der Uhren, die man einfach nicht übersehen kann – sie ist nicht Understatement, sondern ein unverkennbares Statement.
Schon auf ihrem Jungfernflug im Jahr 2002 war die Grosse Fliegeruhr (damals Ref. 5002) nicht nur bei IWC eines der Highlights schlechthin, auch innerhalb der Branche sorgte die äusserst selbstbewusste Neuheit für nicht ganz unerwarteten Wirbel: Sie war mit 46.2 mm selbst für Schaffhauser Verhältnisse grösser als sämtliche ihrer damals erhältlichen Wing Men, und vielleicht waren gerade ihre Widersprüche mit ein Grund, weshalb die markante Uhr von Beginn weg in manchen Zeitzonen fast nicht zu kriegen war: Sie war und ist das Gegenteil von Understatement, auch wenn sie in der damaligen Version klar den puristischen Gestaltungsregeln der Fliegeruhren entsprach, die zeitweise zum Synonym für IWC-Uhren geworden waren.
Dann war da auch noch diese riesige Krone, die eigentlich nur an einer Uhr mit Handaufzug Sinn macht, eine Gangreserve- und eine Datumsanzeige, die man am nochmals bedeutend grösseren Original aus den Vierzigerjahren vergeblich sucht, und – welch Provokation für manchen Macho – sie sah am Handgelenk einer Pilotin fast noch unwiderstehlicher aus…
Aber: Sie war und ist dafür das unangefochtene Spitzenmodell einer ganzen Familie, und mit dem aufgerufenen Preis auch innerhalb der sportlichen Stahluhren eher in der Stratosphäre angesiedelt. Und genau diese polarisierende Mischung führte damals bei der Lancierung in Genf wie auch heute ohne Zwischenlandung geradewegs zu eher emotionalen Diskussionen – und vielleicht dadurch auch zu einer noch zügigeren Ankunft im exklusiven Kreis der Uhren-Ikonen.
Kurz gesagt: Entweder man hasste die Uhr, oder man liebte sie von Beginn weg. Kalt liess sie keinen (abgesehen von den ca. 99.999% der Bevölkerung, die mit mechanischen Uhren sowieso nichts an der Fliegerkappe haben) – und das sind in der Regel genau die Zutaten, die es braucht, um einen modernen Klassiker zu schaffen.
Nicht einmal ihren Fans machte es diese Uhr einfach: Kann man als stiller Geniesser eine solche, gerade bei Promis sehr beliebte Uhr überhaupt tragen, und dennoch politisch korrekt bleiben? – Denn, sollte das bislang nicht klar geworden sein, diese Uhr unbemerkt zu tragen, ist in etwa so unmöglich, wie als passionierter Pilot unbemerkt mit einer C-5 auf einem Regionalflughafen zu landen.
Und dann kam 2006 auch noch ein erneut heiss diskutiertes Modernisierungsprogramm (nach ein paar Übergangsmodellen), das manchen Interessenten noch mehr in die Krise stürzen liess: Das Zifferblatt der nun unter der Ref. 5004 geführten Uhr wurde reduziert, insbesondere die schlankeren Ziffern, die nunmehr fehlende 9 und die schwarze Datumsscheibe sorgten für mehr optische Harmonie (oder Verlust der historischen Wurzeln, je nach Sichtweise). Das Krokolederband mit Faltschliesse wurde zum Standard und verdrängte das Büffellederband, und die fast schon hypnotische Unruhfrequenz des Kal. 5011 von 18’000 auf 21‘600 Halbschwingung pro Stunde gesteigert (Kal. 51110). Die Frage war somit plötzlich nicht mehr ob, sondern welche: Sollte man sich schnell eine der verbleibenden Ref. 5002 mit dem ursprünglichen Werk, den silbrigen Zeigern und dem aussagekräftigeren Boden besorgen, oder das technisch optimierte, elegantere Nachfolgemodell anfliegen?
Kurz gesagt: Beide Versionen haben ihre Vor- und Nachteile. Unterm Strich haben beide ihre Reize, und es fällt entsprechend schwer, objektiv einen Gewinner zu küren resp. eine Empfehlung abzugeben; es bleibt somit eine reine Geschmacksfrage, welche Elemente man wie gewichtet:
Ref. 5002 versus Ref. 5004:
- Vintage Instrumenten-Look / Ruhigere Zifferblattgestaltung
- Wertigere Zeiger / Wertigeres Zifferblatt
- Tiefere Frequenz Unruhe / Konstruktiv optimiertes Werk
- Eingefasstes Datumsfenster / Diskreteres schwarzes Datum
- Authentisches Büffelleder / Hochwertiges Krokoleder
- Holzbox / Lederbox
- Dominante Gangreserve / Angeschnittene Ziffern
- Sekundenzeiger mit Ellipse / Sekundenzeiger mit Dreieck
- Krone mit Fisch-Gravur / Krone mit Probus-Gravur

Bedeutend einfacher fällt indes der Blick auf das Innere der Uhr (aktuell Kal. 51111): Mit der Grossen Fliegeruhr erhielt die Triebwerk-Familie 50000 (damals übrigens das grösste erhältliche Automatik-Werk) im Jahr 2002 erstmals ein Mitglied mit zentraler Sekunde (wie schon beim Vorbild mit dem Kal. 52 mit zentraler Sekunde). Es verfügt demnach ebenfalls über einen Schub von 8.5 Tagen, der zu Gunsten konstanter Antriebskraft auf 7 Tage begrenzt wurde (der Vollaufzug ist nach knapp zweitausend Loopings erreicht).
Die weiteren Zutaten: 42 Rubine, Pellaton-Aufzug, knapp 300 Bauteile, eines davon mit ca. 90 cm Länge die Aufzugsfeder, Breguet-Spirale, Incabloc-Stosssicherung und eine Glucydurunruh.

Dem Rotor fehlt im Vergleich zu den Modellen mit Sichtboden zwar das eingelassene Probus-Medaillon, aber das Werk sitzt in diesem Fall ja auch gut versteckt hinter dem massiven Gehäuseboden in einem zusätzlichen Innengehäuse aus Weicheisen, welches in Kombination mit dem Weicheisen-Zifferblatt das Werk zuverlässig vor Magnetfeldern schützen soll (genaugenommen bis 32’000 A/m). Und mit einem Werk-Durchmesser von rund 38 mm (selbst schon so gross wie eine anständige Herrenuhr) und dem Innengehäuse wird schnell klar, weshalb die Uhr nicht viel kleiner werden konnte, als sie ist.
Wie es sich für eine echte Fliegeruhr gehört, ist das beidseitig entspiegelte, bombierte Saphirglas so eingepasst, dass es bei einem plötzlichen Druckabfall nicht herausspringen kann, und die Wasserdichtheit liegt bei eher wenig beeindruckenden 60 Metern. Hier wird dann einmal mehr klar, dass Taucheruhren grundsätzlich mehr praktischen Nutzen bieten, auch wenn beide Gattungen heutzutage mehr durch den jeweils vermittelten Mythos denn Praxis-Nutzen leben. Aber lassen wir das…Die Lünette ist übrigens fester Gehäusebestandteil und nicht etwa separat.
Wer generell keine Probleme mit grossen Uhren hat, wird bei der Grossen Fliegeruhr von IWC sicher bestens bedient sein. Dass die Uhr nicht nur aufgrund ihres Gewichts von knapp 150 Gramm und ihrer Krone, sondern vor allem aufgrund ihrer Dimensionen jederzeit gut spürbar ist, sollte ebenfalls nicht überraschen. Und dass sich sowohl Träger als auch Uhr gehörig exponieren, muss man ebenfalls nicht in den Archiven der Skunk Works suchen. Insofern macht ein Testbericht dieser Art wenig Sinn, da ein Kauf wohl eher selten als Spontan-Handlung über die Rollbahn gehen wird. Wer der Grossen Fliegeruhr nachgibt, weiss in der Regel, was er sich da in den Hangar stellt.
Vielmehr soll an dieser Stelle neidlos ein weiteres Puzzleteil des Mythos‘ der Grossen Fliegeruhr gewürdigt werden: Mit der ultimativ verdichteten Headline „Der Uhr“ dürfte der verantwortliche Texter ein Stück (Uhren-)Werbegeschichte geschrieben haben. Und mehr muss man eigentlich nicht über diese herrlich polarisierende Fliegeruhr sagen.

Übrigens: Nicht im Lieferumfang enthalten ist ein Pilotenschein. Ist aber gar nicht so schlimm, den siebten Himmel erreicht man mit der Grossen Fliegeruhr ganz bestimmt auch ohne…
Technische Daten
Modell: IWC Grosse Fliegeruhr in Stahl (Ref. 500401)
Lancierungsjahr: 2002, erste grundlegende Überarbeitung im Jahr 2006
Funktionen: Stunde, Minute, Sekunde, (Gross-)Datum und Gangreserve
Werk: IWC Kal. 51111, automatischer Aufzug, indirekte zentrale Sekunde, 7 Tage Gangreserve, 42 Lagersteine, 21‘600 A/h, vernickelt/vergoldet; Incabloc-Stosssicherung, Pellaton-Aufzug, Glucydurunruh; Grösse: 7.6 mm x 37.8 mm
Gehäuse: Edelstahl poliert/gebürstet, 46.2 mm Durchmesser, 15.8 mm Höhe; entspiegeltes Saphirglas (bombiert), Weicheisen-Innengehäuse und –Zifferblatt (bis 32‘000 A/m); Schraubboden, verschraubte Krone, wasserdicht bis 6 atm (60 Meter)
Band: Krokoleder schwarz mit Nieten; Edelstahl-Faltschliesse
Varianten: Von der Grossen Fliegeruhr existieren eigentlich schon erstaunlich viele Versionen; so ist die neue, ab 2006 erhältliche Zifferblatt-Variante bspw. ebenfalls in Weissgold mit grauem Zifferblatt und braunem Krokolederband (Ref. 500402) erhältlich, oder in Platin mit silbernem Blatt und orangen Indexen (Ref. 500413, jedoch nur in Kombination mit der Ref. 325512 – „Vater und Sohn“). Eine weitere Variante mit Titangehäuse, schwarzem Zifferblatt und orangen Indexen existiert als limitierte Kleinstauflage von 50 Stück (Ref. 500410).
Ebenfalls mit Titangehäuse, aber mit s/w Zifferblatt und kleiner Sekunde bei 9 (!) kommen die 50 Stück der Ref. 500411. Den nicht minder seltenen Rotgoldgehäusen fallen die Referenzen 500408 und 500409 (schwarzes Zifferblatt) und 500406 (silbernes Zifferblatt) zu, und wer einigermassen aufmerksam gelesen hat, stellt fest, dass da noch ein paar Nummern innerhalb des Systems fehlen – diese wurden oder werden vermutlich für weitere Kleinstauflagen für Händler verwendet. Eine davon, die Referenz 500407, ist gar olivegrün und auf 20 Exemplare limitiert.
Eine weitere Besonderheit findet sich in der Platin-Version 502605 und in der Titan-Version 502606 – diese Uhren wurden als Perpetual Calendar ausgeliefert. Von der bis 2006 erhältlichen Zifferblatt-Variante existiert jeweils eine Platinversion mit schwarzem (Ref. 500203) oder blauen Zifferblatt (Ref. 500202) inkl. passendem Krokolederband; beide in einer Limitierung von je 500 Exemplaren.
Diese Liste erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Dieser Artikel wurde erstmals im Jahr 2008 veröffentlicht.