Die wahrscheinlich grösste Datumslupe der Welt
Hinweis: Den Artikel zur 2012 eingesetzten Deepsea Challenge von Rolex gibt’s hier.
Am 29. Februar 1952 wandte sich Rolex mit einem ganz besondern Gesuch an den Schweizer Physik-Professor Auguste Piccard: Man wollte ihm auf seinen bevorstehenden Tieftauch-Versuchen mit dem Bathyscaphen „Trieste“ eine speziell angefertigte Uhr zur Seite stellen, die – an der Aussenwand des ungewöhnlichen Tauchgefährts befestigt – schon ein Jahr später beweisen sollte, dass für eine Oyster keine Herausforderung zu gross war, wenn es um deren bereits legendäre Dichtigkeit ging. Und so wurde dieses Sondermodell in den folgenden Jahren zur ersten (und bis 2012 auch einzigen) Uhr, die sukzessive bis auf eine Tiefe von 10’916 Meter versenkt werden sollte. Selbstverständlich dürfte dabei (nebst Vergrösserung des Firmen-eigenen Entwicklungs-Know-hows sowie der erwarteten verkaufsfördernden Rekordfahrt) die Lancierung der ersten Taucheruhr, der Rolex Submariner, eine nicht zu unterschätzende Rolle bei diesem technischen und finanziellen Wagnis gespielt haben, obwohl die gelegentlich auch als „Deep-Sea Special“ bezeichnete Uhr erst 1954 an der Basler Uhren- und Schmuckmesse öffentlich ausgestellt wurde. 1964 machte dazu ein (namentlich nicht genannter) Direktor von Rolex folgende Aussage gegenüber dem Fachmagazin Europastar: „Danach setzten wir uns mit Professor Auguste Piccard und seinem Sohn Jacques in Verbindung, die sich bereit erklärten, eine spezielle Rolex-Taucher-Uhr aussen an dem Batyskaph ‚Trieste‘ zu befestigen, um die Wirkung des enorm hohen Drucks beobachten zu können. Der erste Tauchversuch fand 1953 vor der Insel Ponza im Tyrrhenischen Meer statt. […] Als wir erfuhren, das Professor Piccard im Marianen-Graben (10 916 Meter) im Stillen Ozean erneut tauchen wollte, wiederholten wir unseren Versuch mit einem neuen Modell und konnten den gleichen Erfolg verzeichnen“.

Aber zurück zu den Anfängen: Die Entwickler bei Rolex gingen ursprünglich von der Annahme aus, die Uhr müsse kugelförmig (mit geschätzten 40 mm Durchmesser) konstruiert sein, um die Torturen möglichst unbeschadet zu überstehen. Es entstand jedoch (abgesehen von Grösse, Glas und Boden) eine eher traditionelle aufgebaute Uhr mit handgefertigtem Gehäuse, die in erster Instanz durch die Zürcher ETH auf ihre Druckfestigkeit geprüft wurde.

Die Versuche verliefen nach ein paar Rückschlägen zufriedenstellend, und Rolex konnte Piccard einen von zwei Prototypen im italienischen Castellammare überreichen, mit dem bereits am 30. September 1953 der erste richtige Erfolg gefeiert werden konnte: Vor der Insel Ponza im tyrrhenischen Meer unternahmen sowohl die Trieste als auch die an der Aussenhülle befestigte Rolex (mittlerweile getestet bis 600 Atm.) ihren ersten Tauchgang auf die Rekordtiefe von 3’150 Meter. An Bord waren sowohl Auguste Piccard als auch sein Sohn Jacques. (Anmerkung: Eine einmalige Steigerung, hält man sich vor Augen, dass das Duo auf dem ersten Tauchgang mit dem selbst entwickelten Bathyscaphen eine Tiefe von 8 Meter verzeichnet hatte. Der zweite Tauchgang endete in 11, der dritte in 40 Meter Tiefe. Dann ging es direkt auf 1’000 Meter runter.). Piccard selbst trug dabei einen Chronographen von Longines, die 13 ZN (Ref. 5415).
Am 8. Oktober erhielt Rolex das denkwürdige Telegramm von Piccard, welches den glücklichen Ausgang des Experiments mit den folgenden Worten bestätigte: „Votre montre a parfaitement résisté à 3150 m“ (Ihre Uhr hat 3150 Meter perfekt widerstanden).
Der grösste Erfolg sollte jedoch noch rund 7 Jahre auf sich warten lassen: Am 23. Januar 1960 nämlich tauchten Jacques Piccard (damals 37) und Don Walsh (mit 28 Jahren Leutnant und erfahrener U-Boot-Fahrer der Navy) im Pazifischen Ozean auf die errechnete Rekordtiefe von 10’916 Meter im Marianengraben, der sogenannten Challenger-Tiefe ab – und stiessen dadurch zu einer der tiefsten bekannten Stellen der Weltmeere vor.

Die Navy hatte das ungewöhnliche Gefährt zwischenzeitlich für 250’000 Dollar für ihre eigenen Tiefsee-Experimente gekauft, was die Begleitung durch Walsh erklärt (aus diesem Anlass wurde er übrigens kurzzeitig mit dem Titel ‚COMBATHPAC – Commander of Bathyscaphe, Pacific‘ bedacht). Piccard selbst wurde nur wenige Tage vor der Fahrt als Teilnehmer bestätigt, nachdem die Navy ursprünglich Walsh und den wissenschaftlichen Direktor des auf den Namen „Nekton“ getauften Projektes, Andreas B. Rechnitzer, vorgesehen hatte.
Der geschichtsträchtige Abstieg dauerte 4 Stunden und 43 Minuten, um 13:10 Uhr setzte die Trieste am Boden auf (und wirbelte dabei ziemlich viel Sediment auf). Die beiden Pioniere schüttelten sich die Hände, Jacques Piccard rollte eine Schweizer Flagge aus und Don Walsh tat es ihm mit einer (bedeutend kleineren) amerikanischen Flagge nach. Der eigentliche Aufenthalt am Grund fiel kürzer aus als geplant: Nach 20 anstelle von 30 Minuten entschied man sich für einen möglichst raschen Aufstieg, nachdem sich beunruhigende Risse im Glas gebildet hatten.

Walsh und Piccard leerten dazu die beiden mit Pellets (siehe Abbildung) gefüllten Ballasttanks vor und hinter der Stahlkugel und erreichten nach 3 Stunden und 32 Minuten wieder die Wasseroberfläche. Und mit ihnen auch die Rolex, die soeben erfolgreich einen Druck von 1’150 Atm. ausgehalten hatte.
Der Pioniertat waren schon einige nicht minder spektakuläre Tauchversuche vorangegangen, z.B. auf 5’500 Meter (November 1959) und 7’000 Meter, bei welchen die Rolex ebenfalls schon erfolgreich zum Einsatz gekommen war. Viel bedeutsamer dürfte selbstverständlich der damit erbrachte Beweis gewesen sein, dass sich in dieser Tiefe noch Leben finden liess, aber hier geht’s ja in erster Linie um die Uhr.
Einen Tag nach dem Rekord-Tauchgang im Pazifischen Ozean erhielt Rolex das wahrscheinlich heiss erwartete Telegramm mit der folgenden Botschaft: „Content vous annoncer votre montre aussi précise a onze milles metres quen surface – Meilleures Salutations Jacques Piccard“ (Freue mich, Ihnen anzukündigen, dass Ihre Uhr auch in elftausend Meter so präzis ist, wie an der Oberfläche)
Damit endete zwar die aktive Karriere der Ausnahme-Uhr, nicht aber deren Funktion als Botschafterin: beispielsweise wurde „the ‚bathyscaphe‘ watch“ werbewirksam in Anzeigen der Marke inszeniert: „This Rolex Watch spent 20 Minutes on the Pacific Ocean Floor, 35.797 Feet down, and came up ticking!“
Die auffällige Uhr wurde aber auch im Schweizer Pavillon an der Messe Tokyo im Jahr 1967, neben der Everest-Explorer und Gemini-Speedmaster von Omega, im Sektor „Tradition und Forschung“ gezeigt. Und bis heute trifft man Exemplare immer wieder in Ausstellungen an, darunter im MIH in La-Chaux-de-Fonds, für die Fondation de la Haute Horlogerie (bspw. am Salon QP im 2012), im Verkehrshaus Luzern (seit 2014), oder im Museum der Beyer Chronometrie in Zürich, dem Musée du Léman oder im Deutschen Museum in München.

Insgesamt wurden vermutlich nicht mehr als zehn einzeln nummerierte Modelle für den „Ernstfall“ hergestellt , wobei unklar bleibt, wie viele zusätzliche Uhren als anders konstruierte Nachbauten innerhalb einer „Commemorative Edition“ für ausgewählte Konzessionäre und Museen abgegeben wurden (mit Nummerierung und entsprechender Würdigung der Rekordfahrt auf dem Gehäuseboden). Das bei der Tauchfahrt von 1960 eingesetzte Modell mit der Nummer 3 auf dem Gehäuseboden befindet sich im Besitz des Smithsonian Institutes in den USA, das die Uhr am 8. September 1960 erhalten hatte (und gelegentlich an andere Museen ausleiht):
„The Smithsonian Institution, the national museum of the United States, has been presented the Swiss-made wrist watch which was attached to the outside of the bathyscape ‚Trieste‘ on its record seven-mile dive in the Pacific.
Rolex Pressemitteilung vom 13. September 1960
The watch, an experimental model, was given to the institution by United States representatives of Switzerland’s Rolex Watch Corporation in a ceremony Thursday. It was manufactured at the Rolex plant in Lucerne, Switzerland.“
Besonders interessant an der Uhr: das Zifferblatt ist hell ausgeführt.
Zählt man weitere, zum Teil leicht unterschiedlich konstruierte Exemplare (andere Krone, Höhe des Glases variiert bspw.) in Museen dazu, darunter das MIH, der SalonQP im 2012 (mit der ausgeliehenen Nummer 1 des MIH), das Uhrenmuseum Beyer mit der Nummer 36, die Versuchsmodelle der einzelnen Tauchgänge sowie ein paar bisher in Auktionen aufgetauchte Stücke (darunter die Nummern 5 und 31, im 2021 noch die 35), bleibt die tatsächlich hergestellte Anzahl Uhren und Serien wohl weiterhin ein Geheimnis, berücksichtigt man aber das Nummerierungs-System, so müsste es mindestens 5 reale Testuhren und 36 Gedenkuhren gegeben haben (wobei bereits eine Uhr mit der Nummer 47 im Netz aufgetaucht ist). – Und sollte nun beim einen oder anderen Leser überraschend noch eine rumliegen: Mit über 300’000 DM resp. 60’000 Pfund Auktionserlös (2009 bereits 438’080.00 Dollar) könnte schon jetzt der Champagner kühl gestellt werden. Update (2021): Oder wer umgekehrt ein paar Millionen zuviel hat: Die Nummer 1, laut Christie’s beim ersten Tauchgang Piccards im Einsatz (eine Aussage, die nicht ganz unumstritten ist), kam am 8. November 2021 in Genf für CHF 1’550’000.00 unter den Hammer, fast zeitgleich mit der Nummer 35 aus der später produzierten Commemorative Edition bei Phillips, die am 7. November 2021 für CHF 850’000.00 nach Hong Kong verkauft worden war.

Aber zurück auf den Boden der Realität: Jacques Piccard und Don Walsh waren die ersten Personen, die eine Tauchfahrt in diese Tiefe unternahmen. Und es sollte bis zum Jahr 2012 auch kein anderes Tauchgefährt geben, das in diese Tiefen hätte vorstossen können. Und notabene bis dahin auch keine vergleichbare Uhr.

Entsprechend blieb der Name Trieste noch etwas länger im Einsatz der Navy: So spielte sie beispielsweise eine zentrale Rolle bei der Lokalisierung der gesunkenen USS Thresher im Jahr 1963. Insgesamt wurden mit der Trieste 128 Tauchgänge bis zur Ausserdienststellung im selben Jahr unternommen. Sie kann derzeit in der permanenten Ausstellung des Navy Museums in Washington besichtigt werden, die Nachfolgerin in Seattle.

Einen Blick ins Innere des Bathyscaphen ermöglicht der Besuch des Deutschen Museums in München: Dort befindet sich neben einer weiteren Uhr auch ein (nicht ganz korrekter) Nachbau der unteren Kugel, und in ihm auch ein paar weitere zeitmesstechnische Zeitzeugen, wie ein Chronometer von Movado und zwei Stoppuhren von Longines, die direkt mit den beiden Ballasttanks gekoppelt und damit essentiell für den Tauchgang selbst waren:

Übrigens: die erwähnte Flagge Piccards befindet sich seit 2014 im Verkehrsmuseum Luzern, gemeinsam mit einem weiteren Stahl-Modell der Deepsea-Special:

Die Deep Sea Special on Tour (Grossansicht nach Klick):
Rolex Deep-Sea Special im Musée du Léman
Update (03/2012 und 06/2019):

Neun Jahre nach der ersten Veröffentlichung dieses Artikels im Jahr 2003 sieht logischerweise alles wieder etwas anders aus, aber zumindest der Rekord konnte quasi im Haus behalten werden: Erneut fertigte Rolex mit der 51.4 mm grossen und 28.5 mm hohen Rolex Deepsea Challenge ein Sondermodell an, das sogar bis 15’000 Meter wasserdicht bleibt. Diese stärker als Taucheruhr gestaltete Uhr wurde am 26. März 2012 am Roboterarm des Tauchbootes „Deepsea Challenger“ (gesteuert von Hollywoods Regie-Legende James Cameron) auf eine Tiefe von bis zu 10’908 Meter versenkt. Das hier gezeigte Modell kam dabei ebenfalls nochmals zum Einsatz, aber dieses Mal im Innern der Tauchkugel. Alle Informationen dazu gibt’s hier. 2019 brach Omega diesen Rekord mit der Seamaster Ultra Deep, alle Informationen dazu gibt’s hier.