Die ersten 1000 Meter

Aktenzeichen XY ungelöst, oder die faszinierende Fahndung nach der ersten 1000er

Die problemlose Zeitanzeige in einer theoretischen Tiefe von 1’000 Metern unter der Wasseroberfläche – was heute schon fast schon eine Selbstverständlichkeit bei den besonders ernst gemeinten Taucheruhren ist (im Gegenteil zu manchen daran festgemachten Trägern), musste zu irgendeinem Zeitpunkt von irgendjemandem als Pioniertat vollbracht werden. Und weil sich diese Suche nach diesem Täter und dem Tatzeitpunkt als waschechter Krimi mit internationaler Verstrickung entpuppt, versteht sich die folgende Reise in die Vergangenheit eher als Indizienprozess.

Das Tatmotiv

Selbstverständlich gibt es heute mechanische Taucheruhren, die selbst theoretische Tiefen (resp. die damit verbundenen Druckverhältnisse) von 2’000, 2’500, 3’000, 3’657, 3’900, 5’000 oder gar 6’000 Meter und mehr widerstehen können. Aber die magische Grenze der ersten 1’000 Meter stellt bis heute ein besonderes Highlight (resp. Tiefpunkt) in der Geschichte der Taucheruhr dar. – Besonders, da es doch immerhin zehn Jahre von der Vorstellung der ersten Ur-Taucheruhren mit Drehring gedauert hat, bis der/die erste/n Hersteller ein entsprechendes Produkt im Angebot hatte/n. Kein Wunder also wird diesem Kapitel in der Geschichte der mechanischen Taucheruhr nicht nur hier etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt.

In den vergangenen Jahren ist hierbei so etwas wie ein Konsens entstanden, dass es sich beim Hersteller um Jenny und beim Jahr um 1964 handeln müsse. Es gibt jedoch genügend Hinweise, die ein erneutes Aufrollen des Falles rechtfertigen. Und genau das passiert jetzt:

Erste Überraschung: Falscher Tatzeitpunkt, mehrere Täter?

Dass Jenny mit der Caribbean-Linie nur schon dank Monobloc-Gehäuse zu den Pionieren extrem wasserdichter Uhren zählen darf, ist nach wie vor unbestritten. Aber es scheint, dass ein weiteres Modell als Tatverdächtiger in Frage kommt: In der Juli-Ausgabe des Jahres 1963 der Schweizerischen Uhrmacher-Zeitung taucht erstmals ein Modell im kissenförmigen Gehäuse unter der Marke Sandoz auf. Nachdem aber weder das abgebildete Zifferblatt noch der Beschrieb (Kal. 11 ½ AS 1700, wasserdicht…) auf eine „offizielle“ Druckfestigkeit von 100 Atmosphären schliessen lassen, muss nochmals ein paar Monate nach vorne geblättert werden, bis der schriftliche Beweis für die Existenz einer solchen Uhr erbracht wird: In einer Vorschau auf die Neuheiten der 34. Schweizer Uhrenmesse (11. bis 21. April 1964) in der März-Ausgabe der Schweizerischen Uhrmacher-Zeitung werden nämlich erstmals „Taucheruhren für 30, 70, und 100 Atmosphären (…) – was Tiefen von 300, 700 und 1000 Metern entspricht (…)“ erwähnt. Und zwar von den Marken „ – (Jenny & Cie S.A., H. Sandoz & Cie.)“ wird die Existenz solcher Uhren zumindest in Textform erwähnt. In der Messe-Retrospektive der August-Ausgabe wird die Sandoz dann auch nochmals mit Bild vorgestellt: „Dieses Modell ist bis 1000 Meter unter Wasser garantiert dicht. Es hat ein automatisches Werk mit Kalender und einen drehenden Glasreif. (Sandoz)“. Das Branchenmagazin Europastar beschreibt die Uhr im Jahr 1964 als Taucheruhr mit 38 mm grossem Gehäuse mit 1’000 Meter Wasserdichtheit und AS 1701 (Ref. 1733-y-79-2).

Auch heute noch hinkt das Testen dem Entwickeln oft hinterher: Die deutsche Uhrenmarke Sinn hat deshalb eigens ein Prüfgerät entwickelt, mit dem Uhren bis auf eine Tiefe von 16’000 Metern getestet werden können.

Eine erste Schlussfolgerung: 1964 scheint somit nach wie vor das offizielle Geburtsjahr der 1’000-Meter-Uhr zu sein. Aber schon 1963 wird offenbar eine Uhr von Sandoz gezeigt, die im Jahr 1964 gemeinsam mit der Jenny Caribbean als 1’000er bezeichnet wird. Unbeantwortet bleibt, ob Sandoz a) als Hersteller und b) bewusst oder mangels Testmöglichkeit unbewusst eine dermassen dichte Uhr lanciert hatte. Ebenfalls unbeantwortet bleibt die genaue Chronologie der bis 70 resp. 100 Atmosphären ausgelegten Caribbeans. War die Caribbean 700 inoffiziell schon zu mehr fähig, und wann wurde welches Modell erstmals gezeigt? – Denn nur weil weder Sandoz noch Jenny in den wenigen Monaten dazwischen unerwähnt blieben, bedeutet das noch lange nicht, dass sie nicht in anderen Publikation auftauchten.

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Zweite Überraschung: Die Sandoz wird zum Serientäter

Die Uhr von Sandoz ist keine Unbekannte: Unter dem Spitznamen „Baby-Panerai“ gehört sie bis heute zu den regelmässigen Gästen von Auktionen und dergleichen. Aber nicht nur als Sandoz: auch von Nivada, Waltham, Jaquet-Droz oder Fischer Extra scheinen baugleiche Modelle die letzten Jahrzehnte überstanden zu haben. Bei Le Phare hiess das Modell im Jahr 1964 „Scaphandrier“ (Ref. 692505).

Befragen wir hierzu diese Zeitzeugen, taucht das Modell von Nivada um 1965. Im Januar 1967 bewirbt Nivada in der Schweizerischen Uhrmacher-Zeitung erstmals die als „Depthmaster“ benannte und bekannte Uhr (Ref. 650). Das im Vergleich zur Sandoz mit einem unterschiedlichen Zifferblatt und Zeigern bestückte Modell kann laut Anzeige „einen Druck bis zu 100 Atmosphären aushalten (…). Sie wurde eigens für Tiefseetaucher und Froschmänner geschaffen, die unter schwierigsten Bedingungen arbeiten müssen. (…) Das solide, absolut wasserdichte Gehäuse aus Schwedenstahl ist mit einem 3,4 mm dicken, gegen chemische Einflüsse immunen Glas versehen und hält selbst dem Gewicht eines Lastwagens stand.“

Es sollte aber nicht bei Nivada und Sandoz bleiben: im Juni 1967 bewirbt auch Jaquet-Droz erstmals in der Schweizerischen Uhrmacher-Zeitung eine im Vergleich zur Sandoz nur durch das Zifferblatt veränderte Version der selben Uhr: „Stahl – 1000 m – 260.-„ sind die ersten und gleichzeitig letzten Hinweise aus dieser Quelle. Eine weitere Variante wurde zudem von Austin angeboten.

Schlussfolgerung: Nachdem es auch von der Nivada Depthmaster Varianten ohne erkennbare Tiefenangabe gibt, bleibt es unklar, ob diese Uhr tatsächlich erst 1965 lanciert wurde, oder vielleicht zeitgleich mit der Sandoz. Es bleibt ebenfalls unklar, wer als ursprünglicher Anbieter und wer als Hersteller dieser Uhr gilt. Damit aber nicht genug:

Dritte Überraschung: Die Japan-Connection

Richtig spannend wird nämlich der Blick nach Japan: Dort findet sich mit der äusserst seltenen Orient King Diver (verm. Ref. CB349-11340) gleich nochmals eine mindestens optisch identische Uhr und gleichzeitig auch die vermutlich erste bis 1000 Meter wasserdichte Taucheruhr eines japanischen Anbieters.

Unklar bleibt, wann die eindeutig als 1’000er („Tested 1000 Meters“) angeschriebene Uhr in den Handel gelangte (es kursieren Jahreszahlen zwischen 1965 und 1969). Und noch unklarer ist, was der Hinweis auf Schweizer Wurzeln auf der Innenseite des Gehäusebodens zumindest eines Exemplares verloren hat („C.R.S. Brevet No 279004 Mod. Deposé“). – Das erwähnte, im Jahr 1949 angemeldete Patent Nr. 279004 des Gehäuse-Herstellers C.R. Spillmann & Cie. S.A. aus La Chaux-de-Fonds betrifft nämlich – wenig überraschend – das Gehäuse der Uhr – und es will nicht ganz logisch erscheinen, dass Orient damals diesen Hinweis übernommen hätte, ohne gleich das ganze Gehäuse aus der Schweiz bezogen zu haben. Handelt es sich somit also um die exakt selbe Uhr, deren Gehäuse von einem Schweizer Hersteller noch vor der Quarzkrise für Orient gefertigt und geliefert wurde? – Oder – weil dieser Theorie der Zifferblatt-Hinweis „Japan“ widerspricht – handelt es sich doch um die etwas zu genaue Kopie einer Schweizer Uhr?

Das Schluss-Plädoyer

Im Prinzip hat sich wenig geändert: Die erste 1’000er ist mit grosser Wahrscheinlichkeit im Jahr 1964 der Öffentlichkeit in Basel präsentiert worden. Der grosse Rest ist Spekulation. Aber äusserst faszinierende Spekulation.

Dieser Artikel wurde erstmals im Jahr 2009 veröffentlicht.