Musterschüler: Sinns Taucheruhren aus U-Boot-Stahl
Gemessen an den Anfragen von Lesern, rangiert die im Jahr 2005 von Sinn lancierte U1-Taucheruhren-Reihe schon eine ganze Weile weit oben auf der Wunschliste für eine Review. Der Grund, warum dem Wunsch in mehr als 14 Jahren nicht nachgekommen wurde, liegt nun aber nicht etwa in einer grundsätzlichen Abneigung den Modellen gegenüber, sondern ganz einfach darin, dass es sich bei der U1 und U2 um ein relativ junges Modell handelt, an dem sich objektiv herzlich wenig aussetzen lässt.

Mit anderen Worten: eigentlich gibt’s über die Uhrenreihe auf den ersten Blick wenig zu schreiben. – Kaum eine andere aktuelle Taucheruhr schafft es, den nüchtern-funktionalen Look einer Instrumentuhr so zu zelebrieren, wie Sinns erste „richtige“ Taucheruhr. Aber zum Glück gibt’s ja auch noch den zweiten Blick:

Schon in den ersten Anzeigen von Helmut Sinns (1916 bis 2018) im Jahr 1961 gegründeten Unternehmen positionierte sich die Marke als „Uhrenspezialist für Fliegerchronographen, Industrie-, Rennsportuhren…“ und auch eindeutig für „Taucheruhren“. Die ganz frühen, bis 200 m wasserdichten Modelle waren aber weniger auf Leistung, denn auf günstige Preise bedacht (erhältlich ab DM 79.50 im Gründungsjahr). Zwischen 1983 und 1993 füllte die Ref. 801 zwar die Lücke einer mechanischen, bis 1’000 Meter wasserdichten Taucheruhr der Marke, aber es kamen dabei eher bekannte Elemente von Zulieferern zum Einsatz, um im Direktverkauf weiterhin einmaliges Preis-Leistungsverhältnis anbieten zu können. Erst mit der Übernahme von Sinn durch den Diplom-Ingenieur Lothar Schmidt im Jahr 1994 begann das Unternehmen, sich zunehmend von Zulieferern zu emanzipieren und punkto Innovationen, Design und Fertigung eigene Akzente zu setzen. Modelle wie die 1997 lancierten „Einsatzzeitmesser“ (EZM) schlugen dabei oftmals eine Brücke zwischen unterschiedlichen Einsatzzwecken, und die Taucheruhr 203, die 1999 sogar einen Praxistest am Nordpol meisterte, würde sich vermutlich auch in einem Cockpit wohl fühlen.
Uhren aus U-Boot-Stahl
2005 liess Sinn bestehende Taucheruhren durch den Germanischen Lloyd (seit 2013 DNV GL Group) aus Hamburg auf Druckfestigkeit und nach den Europäischen Tauchgerätenormen EN205 und EN14143 prüfen und zertifizieren. Als bedeutend grösserer Coup sollte sich aber der erstmalige Einsatz eines von ThyssenKrupp entwickelten Spezialstahls im selben Jahr erweisen, der sich durch hohe Festigkeit (gemäss Sinn über 155% des für Uhrengehäuse üblicherweise verwendeten Stahls AISI 316L) und „höchste amagnetischer Güte“ auszeichnet. Zudem soll das Material „völlig resistent gegenüber dauerhaftem Seewasserkontakt“ sein und ist unter anderem auch deshalb im Einsatz bei der Deutschen Marine: die konventionell angetriebenen Boote der Jagd-U-Boot Klasse 212 (seit 2003 im Einsatz) verwenden für die Aussenhülle eben jenen, nicht-magnetisierbaren Stahl. Die erste „Taucheruhr aus U-Boot-Stahl“ erwies sich somit als grandiose Taktik zur Lancierung und Vermarktung der beiden im Jahr 2005 vorgestellten U-Modelle. Ebenfalls wird dadurch klarer, warum Sinn auf die Modellbezeichnung „U“ gekommen ist.

Die bis 1’000 Meter wasserdichte U1 übernimmt dabei die Rolle der „Time only“ Dreizeigeruhr, die U2 bringt zusätzlich noch eine zweite, zentrale Zeitzone auf 24-Stunden-Basis mit und überraschenderweise ein auf 2’000 Meter Tiefe ausgelegtes Gehäuse mit 0,8 mm mehr Bauhöhe (Anmerkung: es gibt vereinzelte U2-Versionen ohne zweite Zeitzone). Beide Modelle verfügen dabei über eine 25% Reserve bei der Druckfestigkeit, messen 44 mm im Durchmesser und sind mit einem einseitig rastenden, laut Sinn „unverlierbaren“ Taucherdrehring (60 Klicks) ausgestattet, die verschraubte Aufzugskrone liegt ergonomisch vorteilhaft bei 4 Uhr. Zudem lässt sich jedes Modell mit einer stattlichen Zahl von Sinn-typischen Technologien aufrüsten: Angefangen vom tegimentierten, besonders kratzfesten Drehring, der Ar-Trockenhaltetechnik (bestehend aus Kupfersulfat-Trockenkapsel, diffusionsreduzierende EDR-Dichtungen und Argon-Schutzgasfüllung) bis zum unterdrucksicheren Saphirglas liest sich die Liste an Optionen, respektive das Pflichtenheft zur Uhr, so umfangreich wie technisch ambitioniert.

Wichtigster augenscheinlicher Unterschied der beiden Modelle dürfte in der Wahl der Zeiger liegen: Während die U1 mit unübersehbaren, weissen Balkenzeigern ausgestattet worden ist, zeigt sich die U2 mit weissen Schwertzeigern etwas konventioneller in der Gestaltung. Die Wahl der roten Elemente ist dabei bei beiden Modellen besonders geschickt ausgefallen: Unter Wasser verliert die Farbe sehr schnell ihre Wirkung, dadurch werden die fürs Tauchen weniger wichtigen Funktionen (beispielsweise die zweite Zeitzone) fast ausgeblendet. Nicht minder löblich: die Zeigerlängen und Indexe sind perfekt aufeinander abgestimmt: Der Radius zum Datumsfenster (Stundenzeiger), die Länge des Minutenzeigers im Vergleich zur Minuterie und den Indexen, oder der Sekundenzeiger mit den roten, ausgeblendeten Elementen: kurz gesagt, ein besser abzulesendes Zifferblatt findet man kaum. Selbstverständlich werden vor allem die markanten Zeiger der U1 nicht jeden Geschmack treffen, dafür tragen sie aber einen grossen Teil zum unverkennbaren Design der Reihe (und der Marke) bei.
Wem der Kontrast der Lünette zu schwach sein sollte: Sinn bietet unter dem Zusatz „SDR“ auch eine schwarze (PVD) Lünette mit weissen Zahlen an. Ebenfalls gibt es bei beiden Modellen ein ganz geschwärztes Gehäuse und Band (U1 S oder U2 S). Bei den Bändern stehen Metall, Silikon, Leder oder Textil zur Wahl. Last but not least bietet Sinn mit der U212 (bspw. Ref. 212.040) eine 47 mm grosse Dreizeigeruhr mit Schwertzeigern an, mit der UX eine Quarz-angetriebene Variante mit Ölfüllung (Hydro), mit dem U1000 Chronographen seit 2007 ein auf die entsprechende Tiefe ausgelegtes Modell mit Drückern, und mit der U200 eine 37 mm grosse Variante für schmalere Handgelenke (die beiden letztgenannten Uhren werden aber Stand Januar 2019 nicht auf der Website aufgeführt). Zahlreiche Zifferblattfarben und Sondereditionen komplettieren den Stammbaum der U-Reihe. Das Positive daran: grundsätzlich müsste sich für jeden Geschmack eine Konfiguration finden lassen, und selbst wem die U1 zu nüchtern, oder zu technisch erscheint, mit Ausreissern wie der U1 Camouflage oder U1 S E beweist Sinn, dass man trockene Funktionalität bei Bedarf durchaus auch mit einer Prise Emotionalität anreichern kann. Das Negative daran: es fällt schwer, objektiv an der Uhr etwas zu finden, das man kritisieren oder verbessern könnte. Mit anderen Worten: während die Namens-gebende U212-Flotte derzeit eher für wenig positive Schlagzeilen sorgt (im Januar 2015 waren bspw. nur zwei Boote, die U 31 und U 33, einsatzbereit), repräsentieren immerhin die Uhren von Sinn die typische „Deutsche Wertarbeit“.

Wer dennoch unbedingt ein Haar in der Suppe finden will: Einzig die Einkerbungen am Drehring könnten allenfalls ein klitzekleines Bisschen mehr Griffigkeit im Einsatz im Wasser bieten (aber selbst mit Handschuhen lässt sich die Lünette von oben noch gut greifen), potentiell fehlender Kontrast zwischen Lünette und Leuchtdreieck lässt sich einfach mit der SDR-Variante umgehen. Und mit 44 mm Durchmesser empfiehlt es sich, die Uhr zuerst in Real Life anzulegen (die vergleichsweise kurzen Bandanstösse sind aber gut proportioniert).
Alles eine Frage der Prioritäten
Sinn hat seit der Übernahme durch Lothar Schmidt im Jahr 1994 eine beachtliche Anzahl an Innovationen entwickelt, die in erster Linie dazu beigetragen haben, den Betrieb einer Uhr möglichst störungsfrei zu halten. Sinn hat aber zeitgleich darauf verzichtet, die Entwicklung eines eigenen Basiswerks so voranzutreiben, dass man für die U1 oder U2 mit einem exklusiven Inhouse-Werk rechnen könnte. Zum Einsatz kommen derzeit vielmehr bewährte Werke wie das SW 200-1 von Sellita (U1) oder das ETA 2893-2 (U2). Wem das bei einem Preis von mindestens € 1’650.00 (Sinn U1 B im Jahr 2019) zu teuer ist, vergisst dabei die Qualität, die überall dort eingeflossen ist, um den Betrieb eben jenes Basiswerks sicherzustellen. – Ein in Deutschland gefertigtes Gehäuse aus einem besonders unempfindlichen Material, eine tadellose Ablesbarkeit und damit kompromisslose Funktionalität, Eigenständigkeit, Robustheit bis zum Abwinken und ein Hersteller, der seit 1961 den direkten Kontakt zum Endkunden pflegt, stehen dabei unweigerlich mehr im Zentrum, als uhrmacherische Individualität. In diesem Sinne ist die U1 oder die U2 nicht zwingend die beste Wahl für diejenigen, die Wert auf eine möglichst grosse Vielfalt beim Werk legen, aber sicher perfekt für denjenigen Träger, der zu schätzen weiss, wieviel Aufwand betrieben wurde, um ein Produkt zu lancieren, dass so weit von einer Drama-Queen entfernt ist, wie ein Taucher vom Bergsteigen.

Fazit
Auf der Suche nach dem berühmten technischen Fortschritt ist es Sinn insbesondere mit der U1 gelungen, eine kaum noch zu verbessernde Taucheruhr zu produzieren, die aufgrund ihrer fast kompromisslosen Ausrichtung auf Funktionalität gut und gerne als mustergültig bezeichnet werden darf. Wer zu schätzen weiss, welche Leistung mit der berühmten „Reduktion aufs Wesentliche“ verbunden ist, wird hier also mehr als glücklich. Der Uhrenreihe fehlt vielleicht etwas die Emotionalität, die man von den italienischen oder Schweizer Mitbewerbern gewohnt ist, aber unter dem Strich dürfte die U1 und die U2 als eine der in jedem Aspekt ehrlichsten mechanischen Taucheruhren aus der Masse herausstechen. Selbst nach 14 Jahren im Einsatz.
Technische Spezifikationen
Hersteller: Sinn Spezialuhren GmbH
Modell: U1 (Dreizeigeruhr), U2 (zweite Zeitzone auf 24-Stunden-Basis)
Referenz: Ref. 1010.010 (U1), Ref. 1020.010 (U2), EZM 5
Lancierungsjahr: 2005
Werk: SW 200-1 (U1), ETA 2893-2 (U2) – Anmerkung: bis zur Umstellung auf Sellita wurden ETA 2824-2 bei der Dreizeigeruhr verbaut
Gehäuse: Stahl satiniert, Durchmesser 44 mm, Höhe 14,7 mm (U1), 15,5 mm (U2), Bandanstossbreite 22 mm, verschraubte Krone bei 4 Uhr, massiver Schraubboden; Saphirglas
Gewicht ohne Band: 113 g (U1) 114 g (U2)
Varianten: Zahlreiche Zifferblattvarianten, Bandoptionen und Gehäusebeschichtungen sind verfügbar
Garantie: 2 Jahre (U1), 3 Jahre (U2)
Preis: Ab € 1’650.00 (Stand 2019)
Bild-Galerie (Grossansicht nach Klick):
Das blaue Kautschukband ist seitlich mit dem Markenlogo des Herstellers versehen worden, in dieser Konfiguration ist die U1 B ab € 1’820.00 erhältlich. Das farblich passende Silikonband wird durch Entfernen einzelner Elemente auf den richtigen Handgelenksumfang angepasst. Das Silikonband ist mit einer massiven Faltschliesse mit seitlichen Drückern bestückt.
Dieser Artikel wurde erstmals im Jahr 2019 veröffentlicht.