Raketa Amphibia

Im Sommer 2020 bot sich überraschend die Gelegenheit, die Amphibia 0256 zu fotografieren und damit endlich auch dem Thema „Made in Russia“ – immerhin den in den 60er-Jahren meistgebauten Uhren der Welt – hier etwas mehr Gewicht zu verschaffen. Aber fangen wir beim Anfang an:

Pobeda, Gagarin und Raketa

Am 12. April 1961 umrundete der russische Pilot mit dem Rufzeichen „Zeder“ an Bord des Raumfahrtzeugs Wostok 1 (russisch für Osten-1) einmal die Erde. Juri Alexejewitsch Gagarin (9. März 1934 – 27. März 1968) ging damit, zehn Monate vor dem ersten bemannten Orbitalflug der USA, als erster Mensch im Weltall in die Geschichte ein. Im selben Jahr wurde dem „Helden der Sowjetunion“ unter anderem auch eine Uhrenlinie namens „Raketa“ gewidmet. Der Name war offensichtlich inspiriert von der Wostok-Trägerrakete, die den Kosmonauten ins Weltall befördert hatte. Hergestellt wurden diese Uhren durch die Uhrenfabrik Petrodworez in St. Petersburg, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter anderem mit der Herstellung von Uhren der Marke „Pobeda“ (russisch für Sieg) beauftragt worden war. Pobeda selbst wurde 1945 ins Leben gerufen und ab 1946 in unterschiedlichen Uhrenfabriken gefertigt, unter anderem eben auch in St. Petersburg.

Der zweite Start der Raketa

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde Raketa mit Hilfe privater Investoren reanimiert und seit 2011 auch ausserhalb von Russland stärker gepusht. Hergestellt werden die Uhren weiterhin in der mittlerweile stark modernisierten Uhrenfabrik Petrodworez in St. Petersburg, wodurch das Preisniveau der Uhren signifikant angehoben wurde: Das Ende 2019 günstigste auf der Website aufgeführte Modell war die Raketa “Yalta” 0222 (Ref. W-40-16-10-0222) für €560.00, die Mehrheit der Kollektion bewegt sich aber zwischen 1‘000 und 2‘000 Euro.

Das Inhouse-Kaliber 2615 mit rund 40 Stunden Gangreserve und „Onega“ Wellendekor.

Nicht erst seit dem 2014 eingeführten „Raketa-Avtomat“ Werk mit 18‘000 Halbschwingungen pro Stunde und 40 Stunden Gangreserve gelten sämtliche Uhren als 100% „Made in Russia“, vor allem, weil die Uhrenfabrik Petrodworez auch die Unruhspiralen selbst herstellt. Vom Basiskaliber gibt’s aktuell vier Ausführungen.

Das Amphibium von Raketa

In der Kategorie Taucheruhr bietet die russische Marke derzeit ein Modell mit Drehring an, das sich je nach Ausführung preislich zwischen 990 und 1‘350 Euro bewegt. Charakteristisch bei allen ist die Null bei 12 Uhr. Die Lünetteneinlage ist aus Keramik, das von einem Modell der 70er-Jahre inspirierte, kissenförmige Gehäuse ist mit einem Sichtglasboden aus Mineralglas ausgestattet und bleibt bis 400 Meter wasserdicht. Im Innern tickt das erwähnte, hauseigene Kal. 2615 mit rund 40 Stunden Gangreserve und manuellem Finish, die Leuchtmasse ist Superluminova, das Glas aus Saphir. Beim Gehäuse gibt’s Edelstahl mit oder ohne PVD.

Raketa Amphibia 0256 (Ref. W-85-16-20-0256) mit PVD

Insgesamt ist das Paket gelungen, aber mit Konkurrenten in Form der Seiko „Sumo“ Familie dürfte hier vor allem der Russland-Faktor das Zünglein an der Waage spielen (die in Japan hergestellte SPB101J1 kommt bspw. ohne Keramik-Inlay und Glasboden, dafür aber mit einem etwas moderneren Werk mit 70 Stunden Gangreserve und Datum). Bei beiden Marken ist das Thema Regulierung (Seiko 6R35: zwischen +25 und -15 Sekunden pro Tag, Raketa 2615: +20 und -10 Sekunden) etwas weniger stark priorisiert worden als bei den meisten Modellen der Schweizer Konkurrenz.

Der Stundenzeiger ist vergleichsweise lange ausgeführt, die Indexe sind appliziert.

Ungewöhnlich aus hiesiger Sicht ist die Gestaltung des Stunden- und Minutenzeigers: erstens sind sie von der Länge her kaum zu unterscheiden, zweitens ist der Stundenzeiger optisch recht markant ausgefallen. Dazu kommt ein eher kleines Gegengewicht beim Sekundenzeiger, was in Kombination mit der grossen Null bei 12 Uhr definitiv genügend Abwechslung zu anderen Taucheruhren schafft. Interessant ist die zweifarbige Leuchtmasse: der Stunden- und Minutenzeiger, die Indexe 0, 3, 6 und 9 sind grün nachleuchtend, der Rest orange (inklusive Leuchtdreieck und die ersten 15 Minuten des Drehrings).

Eine gestalterische Chance hat der Hersteller bei der weit abstehenden Krone verpasst: durch die stilistisch unterschiedlichen Gravuren an Lünette und Krone wirkt letztgenannte etwas wie ein Fremdkörper, lässt sich aber gut bedienen.

Fazit: Insgesamt wirkt die Uhr am Handgelenk gut. Mit einem Einstiegspreis von €990.00 für die Basisversion mit Edelstahlgehäuse und Kautschukband (Ref. W-85-16-20-0252) ist die Amphibia aber auch längst auf dem Niveau der westlichen Konkurrenz angekommen. Preislich liegt sie sogar über der neuen Doxa Sub 200 von Doxa (mit Stahlband und ETA 2824-2) oder der Seastar von Tissot (mit Silizium-Spirale) und lässt selbst Konkurrenten aus Japan hinter sich, die ebenfalls mit Inhouse-Komponenten um die Gunst der Käufer buhlen. Insofern dürfte das wichtigste Argument für den Kauf der Amphibia (oder generell einer Uhr von Raketa) wohl auf dem Zifferblatt unter dem Index bei 6 Uhr zu finden sein: der Herkunftsbezeichnung in kyrillischer Schrift.

Technische Daten

Modell:Raketa Amphibia 0256
Hersteller:Petrodvorets Watch Factory, St. Petersburg (Nordwestrussland)
Funktion:Stunden-, Minuten- und Sekunden-Anzeige
Gehäuse:Edelstahl mit PVD-Beschichtung; verschraubter Gehäuseboden mit Sichtglas-Einsatz (Mineralglas), 22 mm Bandanstossbreite
Krone:verschraubt
Glas:Saphirglas (vorne), Mineralglas für den Sichtboden
Abmessungen:Ø 43 mm
Wasserdichtheit:400 Meter
Werk:Raketa Automatik-Kaliber 2615, ca. 40 Stunden Gangreserve, 24 Rubine, Zentralsekunde; 18’000 A/h; handdekoriert, in vier Lagen auf -10/+20 Sekunden reguliert
Varianten:Raketa Amphibia 0252 (Ref. W-85-16-20-0252) mit Stahlgehäuse und Kautschukband (€990.00), Raketa Amphibia 0253 (Ref. W-85-16-30-0253) mit Stahlgehäuse und -band (€1’100.00), Raketa Amphibia 0254 (Ref. W-85-16-20-0254) mit PVD-Gehäuse und Kautschukband (€1’150.00), Raketa Amphibia 0255 (Ref. W-85-16-10-0255) mit PVD-Gehäuse und Lederband (€1’150.00) sowie die beiden Sondereditionen Raketa Amphibia 0256 (Ref. W-85-16-20-0256 mit Kautschukband) und Raketa Amphibia 0257 (Ref. W-85-16-10-0257) mit grauem Zifferblatt und Meerjungfrau-Motiv auf der Schwungmasse (je €1’350.00)
Preis:ab €990.00 (2019)

Dieser Artikel wurde Ende 2019 geschrieben, aufgrund COVID-19 und der damit verbundenen Reisebeschränkungen aber erst im Jahr 2020 veröffentlicht.