Geschichte der Lünette

Um 1953 debütierten zwei Uhren, die das Aussehen der Taucheruhr bis heute geprägt haben: Die Rolex Submariner und die Blancpain Fifty Fathoms. Es waren beileibe nicht die ersten Taucheruhren, aber sie verfügten als erste ihrer Gattung über einen Drehring. Dank dieser Zusatzfunktion konnte nun nicht nur die Zeit abgelesen werden, sondern beispielsweise auch gleich der Zeitpunkt des Abtauchens markiert werden. Schön praktisch. Aber wie kam der Ring eigentlich auf die Uhr?

Eine Wasserlandung: Auf Spurensuche bei den Fliegeruhren

Drehbare Lünetten oder ganz einfach Lünetten mit Zusatzfunktion haben sehr schnell den Weg auf die Armbanduhr gefunden. – Bis heute lassen sich mit ihnen beispielsweise Pulsfrequenz, Distanz und Geschwindigkeit berechnen, Einsatzzeiten für Atemgeräte ablesen, Himmelsrichtungen und Tidenhub bestimmen, Parkzeiten festhalten, ein Rendez-vous markieren, zweite oder sogar dritte Zeitzonen anzeigen – oder eben Tauchzeiten bemessen (und auf die Kreissäge von James Bonds „Live and let die“ gehen wir jetzt nicht weiter ein).

Da es sich hierbei meist einzig und allein um die mehr oder weniger flexible Markierung eines Zeitpunktes handelt, kam die drehbare Lünette nicht erst bei Taucheruhren zum Einsatz, sondern – im Gegenteil – weit über dem Meeresspiegel: In der Fliegerei nämlich. Und selbstverständlich waren auch hier, wie schon bei der Entwicklung der Armbanduhr überhaupt, die leider eher militärischen Verwendungszwecke der damaligen Zeit ausschlaggebend für diese rasch auf breiter Ebene eingeführte Funktionserweiterung. Zahlreiche Borduhren verfügten beispielsweise schon sehr früh über einen zusätzlichen, einstellbaren Markierungspunkt.

Aus der Zusammenarbeit von Charles Lindbergh und P.V.H. Weems entstand die charakteristische Lünette für Pilotenuhren unterschiedlicher Hersteller. Rechts im Bild: das persönliche Exemplar von Charles Lindbergh.

Aber zurück zur Armbanduhr: Einen wichtigen Meilenstein stellt die im Jahr 1929 eingereichte Patentanmeldung von Philip Van Horn Weems dar, welche u.a. eine Lünette zur einfachen Synchronisation eines Zeigers beinhaltete. Das Patent unter der Nummer 2008734 wurde schliesslich im Jahre 1935 erteilt und fand schnell Einzug in diverse Fliegeruhren, darunter von Omega, Jaeger-LeCoultre, Movado, Zenith und der heute prominentesten Vertreterin, der Longines Weems (oben das Exemplar von Lindbergh). Die Lünette war meist mit einer Zusatzkrone arretierbar.

Longines Weems Armbanduhr aus dem Jahr 1943

Eine simplere Variante war bei zahlreichen anderen Fliegeruhren zu sehen: Ein einfacher roter oder weisser Punkt auf einer geriffelten, frei drehbaren Lünette (beispielsweise Hanhart) oder eine Pfeil-Markierung (beispielsweise IWC Mark IX) ohne Zusatzinformation konnte an diversen Uhren beobachtet werden.

Rolex tastete sich dafür eher auf zivilem Boden an das Drehring-Thema heran: Der Zerograph oder Centregraph von Rolex (Ref. 3462, teilweise auch mit Ref. 3346 bezeichnet) debütierte beispielsweise im Jahr 1938. Aber es ist stark anzunehmen, dass sowohl bei Rolex wie auch bei Blancpain Impulse zur Gestaltung und Funktion, somit zur Adaption des Drehrings, für eine reine Taucheruhr von militärischer Seite kamen: Um 1950 war nämlich bei zahlreichen Armeen der Aufbau einer schlagkräftigen Unterwasser-Truppe von zentraler Bedeutung – die Erfahrungen aus dem 2. Weltkrieg liessen den Wechsel vom Unterwasserarbeiter mit Helmtauchanzug (beispielsweise zur Räumung von mit versenkten Schiffen versperrten Hafenbecken) zum Unterwasser-Kämpfer mit autonomer Luftversorgung zügig voranschreiten. Im Falle von Blancpain mündete dies in der Kooperation mit Bob Maloubier, damals Kommandeur der französischen Kampfschwimmer.

Die ersten Modelle mit Drehring erschienen 1953 – wie bereits erwähnt von Rolex (Ref. 6204) und Blancpain, wobei je nach Quelle auch der Name Zodiac mit diesem Jahr in Verbindung gebracht wird. Übrigens: Rolex benannte die Neuheit gelegentlich auch als „Time Recorder“.

Interessant ist, dass ein (namentlich nicht genannter) Direktor von Rolex in einem Interview im Jahr 1964 mit dem Fachmagazin Europastar folgende Aussage machte: „Wir haben die klassische, seit 20 Jahren erprobte ‚Oyster‘ mit einem dickeren Boden, einem stärkeren Mittelteil, einem solideren Glas und einem drehenden Glasreif mit Skala versehen. Dieser Glasreif mit Anhaltspunkten, an denen der Taucher genau erkennen konnte, wie lange er tauchte, war das entscheidende neue Element der Taucheruhr.“

Bei Panerai hielt die drehbare Lünette drei Jahre nach der Submariner und der Fifty Fathoms um 1956 Einzug – in einer Kleinstauflage (vermutlich um die 30 Stück) einer speziell für die ägyptische Marine hergestellten Uhr – gleichzeitig das Vorbild der heutigen Submersible-Modelle. In den Folgejahren hatten praktisch alle Hersteller den sprichwörtlichen Dreh raus und boten nach und nach Taucheruhren mit Drehring an (mehr über die Entwicklung der Taucheruhr erfahren Sie hier).

Die 60 Millimeter grosse „Egiziano“ von Panerai brachte 1956 erstmals einen Drehring auf die Uhren der Marke

Mit zunehmender Popularität des Tauchens, steigender Praxiserfahrung sowie vertieften Erkenntnissen über dessen Risiken folgte als nächstes die breite Einführung der Rastung sowie einer weiteren Sicherung – Drehringe konnten bereits bei den meisten Taucheruhren der 60er-Jahre nur noch einseitig rastend verstellt werden. Bei Doxa, Jenny und beispielsweise Vulcain wurden gar ganze Dekompressionstabellen auf den Ring resp. das Zifferblatt gepackt. Wieder andere Hersteller boten Countdown-Lünetten an, mit welcher nicht der Zeitpunkt des Abtauchens, sondern der berechnete Zeitpunkt des Auftauchens eingestellt werden konnte. Unter-Varianten mit farblicher Zweiteilung (meistens blau/rot und heute als Pepsi-Variante bezeichnet), oder mit Leuchtmasse bestückt stellten weitere Interpretationen dar. Ebenso wie innenliegende Ringe unterschiedlichster Bauart, oder auch Drehringe mit Drehsperre (z.B. von IWC, UTS, Certina und Omega). Vollends behauptet hat sich jedoch im Prinzip die erste durch Rolex und Blancpain gezeigte Variante des Drehrings. Sie darf also getrost als Herrin der Ringe bezeichnet werden.

Dieser Artikel wurde erstmals im Jahr 2004 veröffentlicht.