Sinn 8820: Wegbereiter mit Tiefenmesser

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Schon seit der Gründung im Jahr 1961 gehören Taucheruhren mit zum festen Repertoire der deutschen Uhrenmarke Sinn. Und spätestens seit der Lancierung der U1-Reihe im 2005 dürfte dabei jedem klar geworden sein, dass der Namenszusatz „Spezialuhren zu Frankfurt am Main“ auch in dieser Sparte mehr als gerechtfertigt ist. Dazwischen gibt es aber noch ein paar nicht minder faszinierende Taucheruhren von Sinn, angefangen bei der bis 1’000 Meter wasserdichten 801-Reihe bis zur hier näher vorgestellten 8820: Diese in den 80er- und 90er-Jahren angebotene Modellfamilie konnte zwar bei der eigenen Fertigungstiefe noch nicht ganz mit den heutigen Uhren mithalten, dafür sorgte vor allem eine frühe Version der 8820 dafür, dass die effektive Tiefe stets im Blick des Tauchers blieb: dank eines kreisförmigen, einseitig offenen Kanals auf der Oberseite der Uhr zeigt die 8820 konstant die aktuelle Wassertiefe an (beim Abtauchen dringt bei einem Boyle-Mariottesche Tiefenmesser Wasser in das Röhrchen ein und komprimiert je nach Tauchtiefe die darin befindliche Luft).

Die Öffnung bei 3 Uhr ist für den integrierten Tiefenmesser der 8820 ausschlaggebend, das Ablesen der Tiefe erfolgt mittels Skala auf dem Innenring.

Sinn war dabei logischerweise nicht die erste Uhrenmarke, die auf diese Funktion gesetzt hatte:

Zeit und Tiefe – eine paradoxerweise seltene Kombination in der Uhrenindustrie

Die zwischen 1966 und 1967 lancierte Favre-Leuba Bathy 50 (Ref. 53253) gilt als erste Armbanduhr, die die fürs Tauchen zentralen Funktionen Tiefenmesser und Zeitanzeige vereinte. Und seither wagten sich erstaunlich wenige Uhrenmarken an das Thema heran: aktuell sind beispielsweise nur Blancpain mit der X Fathoms (Ref. 5018 1230 64A), Oris mit der Aquis Depth Gauge (Ref. 01 733 7675 4754-Set RS), resp. Aquis Depth Gauge Chronograph (Ref. 01 774 7708 4154-Set RS), oder Favre-Leuba mit der Raider Bathy 120 Memodepth (Ref. 00.10108.06.51.31) mit einem entsprechenden Angebot auf dem Markt, und bei allen drei Marken scheint der Tiefenmesser mehr Technologie- denn Umsatz-Träger zu repräsentieren. Oris ist dabei noch am nächsten bei der ursprünglich verwendeten Bauweise geblieben, setzt aber ein deutlich robusteres Saphirglas ein (Blancpain verwendet bspw. im Gehäuse eine Metall-Membrane zur Druckmessung).

Sinn hatte die 8820 mit Tiefenmesser erstmals an der Europäischen Uhren- und Schmuckmesse 1987 in Basel, also der damaligen Baselworld (23. bis 30. April 1987), präsentiert. Interessanterweise taucht die 8820 aber erst in den Preislisten von 07/1989 bis 04/1991 der Marke auf; sie kostete damals DM 635.00 DM mit Lederband und 785.00 mit passendem Titanband.

Für das Modell griff Sinn auf ein Gehäuse zurück, das auch andernorts im Einsatz war: beispielsweise als Quartz-Uhr mit Edelstahlgehäuse von Marken wie Jules Racine, Barbezat (Profundus) oder Breil (Manta Depthometer), mindestens von Breil auch als Automatik-Uhr. Dazu kommen in leicht abgewandelter Form (will heissen ohne versenkter Lünette) Modelle von Saba oder Squale (ebenfalls Profundus). Die Squale Profundus wiederum gab’s mindestens von Ticin, Viser, Ocean Diver Blandford S.A. und Bucherer mit Co-Branding.

Die tief ins Titan-Gehäuse integrierte Taucher-Lünette basiert auf einem Patent aus dem Jahr 1968 und sorgt in Kombination mit dem flachen 2892-A2 von ETA für lediglich 13 mm Bauhöhe bei 200 Meter Wasserdichtheit.

Dank der patentierten Konstruktion lässt sich der Gehäusehersteller relativ einfach ermitteln: Die Bodengravur „Brevet 503305 M.R.P. SA Switzerland“ gibt nämlich einerseits Aufschluss darüber, wer diese Gehäuse hergestellt hat, und andrerseits, was denn genau patentiert wurde: so viel vorneweg, der Tiefenmesser war’s in diesem Fall nicht: Das 1968 angemeldete Patent CH503305A bezieht sich lediglich auf ein „Uhrengehäuse mit Drehring“ der Manufacture de boîtes de montres M.R.P. SA (heute MRP SA) in der Gemeinde Alle im Jura. Das Unternehmen wurde 1953 gegründet und nach den Eignern Marchand, Roth und Petignat benannt. MRP bot das Gehäuse ab 1977 in Edelstahl an, Sinn sollte dabei aber der einzige Abnehmer bleiben, der ausschliesslich eine Titan-Version des Gehäuses verlangt hatte. Laut MRP wurden gesamthaft „lediglich ein paar hundert Stück an Sinn geliefert.“ Sinn selbst beschrieb die Materialwahl folgendermassen in den Verkaufsunterlagen:

„Nur Reintitan mit der Werkstoffnummer 3.7035 garantiert 100 Prozent der überragenden Eigenschaften des besonders widerstandsfähigen und dabei dennoch leichten, edlen Metalls – im Gegensatz zu vielfach verwendeten Titanlegierungen, denen auch weniger edle und teilweise körperunverträgliche Metalle beigegeben sind. […] der drehbare Taucherring und die verschraubbare Krone, bei der 8820 zur Sicherheit versetzt in der Position zwischen 4 und 5 Uhr plaziert.“

Sinn

Die Sonderversion „U-Boat“

Während die für den hiesigen Markt reservierten Uhren allesamt mit einem mattschwarzen Zifferblatt mit Logo ausgestattet waren, wurde – mit allergrösster Wahrscheinlichkeit ausschliesslich für den japanischen Markt und gegen Mitte der 90er-Jahre – die hier gezeigte Version mit dem U-Boat-Schriftzug (sowohl in roter und gelber Farbe) aufgelegt. Eine japanische Verkaufsbroschüre aus dieser Zeit erwähnt dabei einen Bezug zwischen dem für U-Boote immer häufiger verwendeten Metall und der Uhrenbezeichnung.

Nebst rotem U-Boat-Aufdruck existiert auch noch eine Version mit gelber Farbe. Das reguläre Modell hatte im Vergleich dazu lediglich das Marken-Logo auf dem Ziferblatt.

Zwei Modelle der 8820 in mindestens sechs Ausführungen

Vom Ursprungsmodell existieren mindestens zwei unterschiedliche Logo-Varianten, in Kombination mit den U-Boat-Uhren sind also mindestens vier unterschiedliche Tiefenmesser-Versionen in den Umlauf gekommen. Damit aber noch nicht genug: Sinn ging in den 90er-Jahren ebenfalls dazu über, unter der selben Referenz-Nummer (resp. „Modell 8820 Ti“ oder „8820.010“ laut Katalog von 1996) auch eine Dreizeigeruhr ohne Tiefenmesser anzubieten. Der realistischste Grund dafür könnte in der doch eher schwierigen (und schwierig zu reinigenden) Konstruktion des verwendeten „schlagfesten Acryglases“ mit Öffnung gelegen haben, ein anderer in der daraus eingeschränkten Verfügbarkeit genau jener Gläser. Und nicht zuletzt dürfte schon damals die Nachfrage nach einer Uhr mit Tiefenmesser unter den Erwartungen geblieben sein.

Dieses Automatik-Modell ohne Tiefenmesser taucht erstmals in der Preisliste 11/1994 auf. Als reduzierte Version der 8820 verfügte die Uhr statt der Tiefenskala über einen 12-Stunden-Innenring und Saphirglas, das nunmehr Chronometer-zertifizierte 2892-A2 mit goldfarbenem Rotor war durch den Sichtglasboden zu sehen, und die verschraubte Krone mit dem Anfangsbuchstaben der Marke graviert. Der Preis mit Titanband war damals DM 980.00. Ein weiterer Unterschied ist in der Zeigerform zu finden, das Dreieck des Minutenzeigers der 8820 ohne Tiefenmesser fiel etwas kleiner aus.

Von dieser Uhr gibt es wiederum mindestens zwei Versionen: eine mit „Swiss Made“ bei 6 Uhr, eine ohne. Bei beiden fehlt zudem der Hinweis auf Tritium als Leuchtmasse (im Vergleich zum früheren Modell mit Tiefenmesser). Ab 1997 verschwand auch dieses Modell wieder aus den Preislisten des Herstellers.

Kurz gesagt: derzeit sind mindestens vier unterschiedliche Versionen mit Tiefenmesser bekannt, und mindestens zwei vom Dreizeigermodell ohne. Während die häufig gemachte Unterteilung in „8820“ (Automatik-Modell) und „8820 T“ (Tiefenmesser) naheliegend ist, findet sich dazu in den Preislisten der deutschen Marke kein Beleg (dafür auf einer früheren Version der Website des Unternehmens).

Abschliessend kann vermutet werden, dass (auch) Sinn mit der 8820 wohl die Erfahrung gemacht hatte, dass eine Taucheruhr mit Tiefenmesser produktionstechnisch und allenfalls auch kommerziell nicht das erhoffte Potential hatte. Die naheliegende Antwort darauf war demzufolge die etwas später nachgeschobene Chronometer-Version ohne Tiefenmesser, dafür aber mit Saphirglas, um die zugekauften Gehäuse dennoch nutzen zu können.

Inspirationsquelle für die T1

Die 8820 fällt zeitlich recht nahe an die Firmenübernahme im Jahre 1994 durch Lothar Schmidt, der dem Unternehmen anschliessend eine noch technischere Ausrichtung gab. Spannend ist hierbei, wie gut sich die 8820 retrospektiv in genau jenen Teil der Historie einreiht: Mit der U1 aus „hochfestem, seewasserbeständigem deutschen U-Boot-Stahl“ taucht der Bezug zu U-Booten ab 2005 zum zweiten Mal in der Geschichte des Unternehmens auf. Und mit der T1 von 2013 ist punkto Gehäuseform und -material, Kronenplatzierung, flacher Bauweise und nicht zuletzt der Zeigerform eigentlich auch ein legitimer Nachfolger der 8820 im Angebot.

Damit zu den Bildern (Grossansicht nach Klick):

Technische Daten

Anbieter:Sinn
Referenz-Nummer:8820
Einführungsjahr:1987
Gehäuse:Titangehäuse mit Schraubboden und verschraubter Krone bei 4:30 Uhr, 200 Meter Wasserdichtheit, 39 mm Durchmesser, 13 mm Bauhöhe
Werk:ETA 2892-A2
Band:Die 8820 wurde mit Leder-, Kautschuk- und passendem Titanband (mindestens zwei Ausführungen) mit Faltschliesse angeboten.
Versionen:Bekannt sind vier Ausführungen mit Tiefenmesser, zwei ohne.
Preis:ab 1991 zu einem Preis ab DM 635.00 im Angebot

Anmerkung: Dieser Artikel wurde erst möglich durch die mehr als freundliche Leihgabe der hier abgebildeten Uhr durch einen Sammler. Vielen herzlichen Dank für diese mehr als grosszügige Geste!

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